Als mein Vater 1955 das Milchgeschäft übernahm, versprach meine Mutter, ihm dabei zu helfen und den Milchladen zu führen. Aber wer sollte den grossen Haushalt mit den kleinen Kindern betreuen? Was lag näher als die alleinstehende Schwester meiner Mutter anzufragen! Die hilfsbereite Tante Ida sprang in die Bresche, kochte, putzte, machte die Wäsche, half den Kindern bei den Schulaufgaben, tröstete uns, schlichtete Streit, sang und betete mit uns und wurde zu unserer Erzieherin und fast zu einer zweiten Mutter, aber nur fast. Ida zementiert das traditionelle Rollenbild der Frau als Hausfrau und Mutter, auch wenn es nicht ihre eigenen Kinder sind. Sie schenkte uns eher zuviel als zuwenig Liebe.

Meine Mutter Margrit sitzt links, Ida in der Mitte. Die drei Schwestern helfen sich das ganze Leben lang.
Am liebsten kochte sie Hörnli-Teigwaren und Gehacktes mit Apfelmus, sie half uns gerne, Gedichte auswendig zu lernen. Sie bemutterte uns fast zu sehr, sodass ich ihr einmal erklärte: „Du bist nicht meine Mutter“. Ich hatte manchmal Mühe, ihr zu folgen und sie zu akzeptieren. Meine Mutter stand bis am späten Abend im Geschäft; zuhause strapazierten wir die Nerven der Tante und sie die unseren, auch wenn sie es immer gut mit uns Kindern meinte. Die Konstellation mit einer Zweitmutter ist alles andere als konfliktfrei.
Traum
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